Erzähl doch mal S. 20 Jahre
Sechs Jahre bis zur Diagnose!
Hallo, ich bin S., 20 Jahre alt. In 2016 wurde bei mir JIA mit Psoriasis diagnostiziert. Im Alter von etwa 6 Jahren fingen meine Beschwerden und damit auch meine lange Reise an.
Schmerzen an den Sprunggelenken und meinem linken Knie begleiteten meinen Alltag, sodass es kaum einen Tag gab, an dem ich vor Schmerzen mein Gesicht nicht verzogen habe. Nach einigen Monaten entschied sich meine Mutter, mich zu meiner Kinderärztin zu bringen. Da ich ja noch ein Kind war, lautete die Antwort: „Schmerzen sind normal, denn ihre Tochter befindet sich in der Wachstumsphase“. Mit den Monaten wurden die Schmerzen immer schlimmer. Ab diesem Zeitpunkt begann meine Odyssee mit Arzt- und Krankenhausbesuchen. Zwischenzeitlich waren meine Wirbelsäule, die Hände und mein Becken betroffen. Durch die vielen Schmerzen hatte ich auch immer mehr schlaflose Nächte. Arzt- und endlose Krankenhausbesuche wurden zur Normalität.
Wachstumsschmerzen mit Hypermobilität
Als ich etwa 9 Jahre alt war, wurde mir endlich eine Diagnose gestellt: „Wachstumsstörung mit Hypermobilität“. Ich sei zu gelenkig hieß es, daher hätte ich Schmerzen. So ganz genau war mir nicht bewusst, was dies hieß, aber ich fühlte mich nicht gut damit, merkte doch auch, dass andere Kinder das nicht hatten. Trotzdem nahm ich es einfach so hin. Ich meine, was sollte ich auch machen? Ich war erst ein 9-jähriges Kind.
Ich versuchte die Schmerzen zu unterdrücken und nicht an sie zu denken. Das gelang natürlich nicht. Meine Fehlzeiten in der Schule stiegen an und Hobbys machten mir mit den Schmerzen keinen Spaß mehr. Die vielen Vorwürfe, die mir von Seiten der Ärzte an den Kopf geworfen wurden, dass ich total übertreibe und alles nur vorspiele, haben mich nicht nur verletzt, sondern machten mir deutlich, dass mir nicht geglaubt wurde.
Meine Mutter gab nicht auf und organisierte weitere Arztbesuche, wofür ich ihr sehr dankbar bin. Es war oft schwierig für uns als Familie. Aber meine Mutter ließ in dieser Sache nicht locker. Wir kämpften noch gegen etwas Unbekanntes.
Diagnose: Juvenile idiopathische Psoriasis-Arthritis
In 2016 schickte meine Kinderärztin mich mit meinen inzwischen 12 Jahren zum Kinderrheumatologen. Ich hatte keine Lust und Hoffnung mehr – ich zweifelte inzwischen schon an mir selbst. Nach dem Gespräch mit meinem Rheumatologen und weiteren Tests, hat das Unbekannte endlich einen Namen bekommen. Nach sechs Jahren stand die Diagnose: Ich habe Rheuma – juvenile idiopathische Arthritis mit Psoriasis.
Ich nahm meine Diagnose anfangs nicht ernst, ich wollte nicht mit ihr zusammenleben. Im Gegenteil, ich versuchte nicht einmal an sie zu denken, denn für mich stand fest: „Ich habe nichts. Ich bin doch gesund, übertreibe und bilde mir eh nur alles ein.“
Hoffnung sank und Hobby aufgeben
Meine Feinde wurden MTX, Enbrel, Humira, Simponi, einige Tabletten und nicht zu vergessen die Cortison-Infusionen. Mit der Zeit merkte ich, dass ich mein Rheuma nicht einfach so überspielen kann. Durch einige Medikamente wurde ich extrem müde. Ich fühlte mich oft kraftlos, obwohl ich doch so jung bin. Ich musste wieder meine Hobbys aufgeben und das, was mich ausgemacht hat. Meine Eltern behandelten mich, wie eine zerbrechliche Porzellanpuppe. Doch die wollte ich eigentlich nicht sein. Ich wollte in die Welt da draußen.
Inzwischen war ich auf der weiterführenden Schule und meine Fehlzeiten stiegen. Die ersten Medikamente haben nicht so angeschlagen, wie geglaubt. Wieder ein Stück Hoffnung, was mir drohte genommen zu werden. Und das alles von gefühlt jetzt auf gleich – diese Umstellungen kamen wie eine Lawine auf mich zu und überrollten mich. Dennoch war ich das Mädchen, welches ständig am Lächeln war. Ich habe immer versucht stark zu bleiben, denn ich wollte mein Rheuma führen und nicht mein Rheuma mich.
Schule und Klassenkameraden
Mit der Zeit lernte ich, mit meiner Krankheit zusammenzuleben und nicht gegen sie. Meine Feinde wurden zu meinen Freunden (Medikamente). Ich hatte ein gutes Verhältnis zu vielen meiner Lehrkräfte und bekam viel Verständnis und Unterstützung. Es gab Tage, an denen ich so energie- und kraftlos war, dass ich mich direkt nach der Schule hinlegen musste und spät abends erst wieder aufstehen konnte. Ein Grund, weshalb ich manchmal nicht die Gelegenheit hatte, die Hausaufgaben von heute für morgen zu erledigen. Mir wurde eine Zeitzugabe seitens der Lehrkräfte gebilligt, so dass ich die Möglichkeit hatte, Hausaufgaben nachzureichen oder sie auch mal nicht zu erledigen. Ich bekam zwei nette Hausaufgabenpaten zur Verfügung gestellt. Zwei Mitschülerinnen erklärten sich bereit, für mich an Fehltagen mitzuschreiben oder Arbeitsblätter nach der Schule vorbeizubringen. Ich bin noch heute sehr dankbar dafür.
Leider machte auch ich beim Klassenwechsel Bekanntschaft mit negativen Erfahrungen. Eine Sache hat mich so tief getroffen und verletzt, dass sie mich noch heute beschäftigt. Es war ein Fall mit einem Klassenkameraden. Aufgrund meiner betroffenen Halswirbelsäule, muss ich gerade zur Tafel sitzen. Da ich einen ungünstigen Platz im Klassenraum hatte, habe ich seinen Sitznachbarn gefragt, ob es eventuell für beide okay wäre, wenn wir die Plätze tauschen würden. Die Antwort lautete: „ja“. Am nächsten Tag saß ich dann dort und der eine Klassenkamerad wurde anscheinend nicht von seinem Sitznachbarn über den Tausch aufgeklärt, beziehungsweise überhaupt gefragt. Das war mir damals leider nicht bewusst. Der daraufhin an mich gerichtete Kommentar traf mich sehr. „..ja nur weil du krank bist, dann möchte ich auch krank sein und dort sitzen können, wo ich will.“ Ich war immer stark, aber so etwas zu hören – vor allem ohne zu wissen, wie es einem geht, brachte auch mich mitten in der Klasse zum Weinen. Ich musste weg, ich war richtig wütend. Ich habe den Raum mit folgenden Worten verlassen: „Ich habe es mir nicht ausgesucht krank zu sein und deine Gefühle wollte ich auch nicht verletzen. Es ist nur ein Sitzplatz.“.
Generell waren meine Klassenkameraden sehr verständnis- und rücksichtsvoll. Ich wurde nie ausgegrenzt oder ausgeschlossen und das hat mir sehr viel geholfen und mir vieles erleichtert. Meine Mitschüler waren nicht sauer oder genervt von mir, wenn ich eine Klassenarbeit später schrieb, da ich einen Schub hatte und beim Termin nicht anwesend sein konnte. Ich wurde von ihnen nicht gehänselt oder geärgert.
Viele Schmerzen, Nachteilsausgleich und Hausunterricht
Mit vielen Lehrkräften habe ich gute Erfahrungen gemacht. Aber leider mit einigen auch negative bezüglich meines Rheumas. Während die einen mich unterstützen, kämpften die anderen gezielt gegen mich an. Einige Lehrkräfte boten mir Hausunterricht an, ich bekam einen Nachteilsausgleich (Schreibverlängerung, Laptop). Ich wurde während der Coronapandemie via FaceTime zum Unterricht dazu geschaltet und bekam Unterrichtsmaterial, Tafelbilder etc. per E-Mail oder auch per WhatsApp. Andere Lehrkräfte gaben mir das Gefühl, mich mit meiner Erkrankung nicht akzeptieren zu wollen, auch den rechtlich gesicherten Nachteilsausgleich nicht. Neben den ganzen anderen Sorgen habe ich eine Angst entwickelt, bei einigen Fächern zu fehlen. Was für ein unnötiger Stress obendrauf. Ich quälte mich manchmal zur Schule und schrieb weinend unter teils starken Schmerzen Klausuren, nur damit diese bestimmten Lehrkräfte nicht falsch von mir denken. Ich entwickelte dadurch sogar eine Angst, in der Oberstufe einen Nachteilsausgleich zu beantragen. Eigentlich eine ganz klare geregelte Sache in unserem Schulsystem.
Es war schwer für mich, aber ich habe mich nicht unterkriegen lassen. Ich habe einen Nachteilsausgleich beantragt, doch die Umsetzung war für einige Lehrkräfte nicht machbar. Es wurde beispielsweise der Nachteilsausgleich zuerst akzeptiert und zwei Tage vor meiner Klausur nachträglich gestrichen. Warum? Warum wurde das mit mir gemacht? Gott sei Dank gab es aber auch die anderen Lehrkräfte, mit denen ich über meine Sorgen reden konnte und die mich absolut unterstützt haben. Ohne sie, hätte ich vieles nicht geschafft.
Mangelnde Akzeptanz, Unterstützung und Dankeschön.
Jeder in unserer Gesellschaft möchte akzeptiert werden, auch wir Menschen mit Rheuma. Doch leider gehört es noch immer dazu, dass nicht jeder mich und mein Rheuma akzeptiert oder verstehen wird – das ist schade!
Ich bin mir leider auch sicher, dass ich in Zukunft negative Erfahrungen sammeln werde. Ich fange voraussichtlich im April 2024 an zu studieren und mache mir jetzt schon Gedanken, welche Hilfsmittel ich bei meinen Rheumasymptomen einsetzen kann und wie ich offen mit meiner Universität und Kommilitonen bezüglich meines Rheumas kommunizieren kann oder sollte.
Ich bekam viel Unterstützung von meiner Familie, meinen Freunden, einigen Lehrkräften und von RheumaKinder e.V. Ich habe in diesem Jahr mein Abitur bestanden.
Aber auch meinem ehemaligen Rheumatologen möchte ich danken: Lieber Rheumatologe, ich möchte Ihnen von Herzen danken für Ihr Verständnis, Ihre Unterstützung und Betreuung. Sie haben mir geholfen meinen Weg mit Rheuma zu finden.
Wofür ich mich einsetze!
Ich habe mich dazu entschlossen, diesen Beitrag zu schreiben, weil ich mich dafür einsetzen möchte,
- dass Rheuma bei Kindern viel schneller erkannt und diagnostiziert wird, um langes Leid möglichst zu verhindern
- um ein Bewusstsein in der Öffentlichkeit zu schaffen, dass auch an Rheuma erkrankte Kinder und junge Leute durchaus fähig sind eine solide Schulleistung zu erbringen, wenn die ihn zustehenden Möglichkeiten umgesetzt und akzeptiert werden und
- um anderen Mut zu machen, sich nicht alles gefallen zu lassen.
S., 20 Jahre