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Erzähl doch mal Tobias

19.November 2023 | News

 

Hallo, mein Name ist Tobias und ich bin 23 Jahre alt. Im Alter von 11 Jahren, wurde bei mir eine juvenile idiopathische Arthritis diagnostiziert. Betroffen waren meine Füße, Knie, Hüfte, Wirbelsäule und besonders auch meine Kiefergelenke.

Immer wieder Wachstumsschmerzen

Als ich etwa 8 Jahre alt war, bemerkte ich, dass ich nach dem Sportunterricht, längeren Spaziergängen oder beispielsweise Trampolin springen oder Fußball spielen, Schmerzen in meinen Füßen und Knien bekam. Ich erinnere mich noch gut daran, wie oft ich mich auf unsere Treppe gesetzt habe und nicht wusste, wie ich sie hochkommen sollte. Irgendwie häuften sich für meine Mutter diesen Aussagen und sie fand es nicht normal. Schließlich haben es doch die anderen Kinder nicht. So gingen wir zum Kinderarzt. Mir wurde erklärt, dass es sich um Wachstumsschmerzen handeln würde. Dies machte die Sache nicht einfacher für mich, aber es gab einen Namen für meine Schmerzen.

Unverständnis im Sportunterricht

Im Sportunterricht der Grundschule wurde mir von meiner Sportlehrerin eine gewisse „Unsportlichkeit“ vorgeworfen, da ich beim Turnen keine richtige Rolle konnte und trotz meines Asthmas am jährlichen Lauftag nicht die Anzahl Runden zurücklegte, wie sie es gern wollte. Obwohl ich über Schmerzen klagte, wurde mir nicht geglaubt. Im Gegenteil, ich wurde belächelt und als „unwillig“ eingeordnet. Seitens der Ärzte waren es weiterhin Wachstumsschmerzen.

Mit 91/2 Jahren stand ich nachts bei meinen Eltern am Bett, weil ich plötzlich vor Schmerzen meinen Kopf nicht mehr bewegen konnte. Der erste Verdacht meiner Eltern war, dass ich mich bestimmt im Schlaf „verlegen“ hätte. Da die Schmerzen blieben und unerträglich waren, gingen wir wieder zum Arzt. Dieses Mal wurde eine MRT ohne Kontrastmittel der Halswirbelsäule gemacht. Es war nichts zu sehen. Es sei alles in Ordnung. Das Wort Wachstumsschmerzen konnte ich nicht mehr hören und Schmerzmittel halfen auch nicht recht.

Hüftschnupfen?

Als ich gerade 10 geworden bin, bekam ich aus dem Nichts starke Hüftschmerzen, so dass ich kaum noch ohne Hilfe laufen konnte. Wieder zum Arzt: Verdacht auf Hüftschnupfen. Ich sollte mich 14 Tage schonen. Nicht laufen, möglichst keine Treppen steigen und dann vorsichtig wieder anfangen zu gehen. Doch leider hörten die Schmerzen nicht auf. Also wieder zum Arzt. Dieses Mal Verdacht auf „Hüftkopfnekrose“ – wir sollten einen Orthopäden aufsuchen und ich sollte weiterhin zu Hause bleiben und mich schonen. Der Termin beim Orthopäden zwang mich weitere 14 Tage zur Ruhe. Eine Röntgenaufnahme ergab nicht recht was, aber eventuell müsste ich operiert werden.

Als Kind habe ich mich ziemlich blöd damit gefühlt. Ich habe immer wieder unter Schmerzen gelitten, die Wachstumsschmerzen sein sollten und nun wolle man mich eventuell operieren, obwohl ich eigentlich nichts Richtiges habe?

Der Beginn einer furchtbaren Krankheit

Nach weiteren 14 Tagen Ruhepause wieder zum Orthopäden. Meine Schmerzen waren immer noch da. Er untersuchte mich ziemlich genervt, weil ich wegen meiner Schmerzen nicht seinen Anweisungen schnell genug folgen konnte. Dann meinte er zu uns: „Das könnte der Beginn einer furchtbaren Erkrankung sein“. Anschließend hat er den Raum verlassen, er ist einfach gegangen. Das war der Moment, wo ich mich als Kind im Stich gelassen gefühlt habe und anfing an mir selbst zu zweifeln.

Da aufgeben für meine Mutter keine Option war, sprach sie mit einer Ärztin, die das erste Mal den Verdacht von Rheuma geäußert hat. Sie überwies an einen Kinderrheumatologen.

Diagnose: Rheuma

Beim Kinderrheumatologen wurde ich gründlich untersucht und zum MRT geschickt. Nachdem ich das MRT hinter mir hatte, war ich voller Hoffnung, dass nun endlich eine Ursache gefunden werden würde. Denn neben den Schmerzen fühlten sich mittlerweile Teile meines Körpers schon völlig versteift an und meine Bewegungen waren deutlich mehr eingeschränkt. Morgens konnte ich teilweise gar nicht oder nur schwer aufstehen.

Mit den MRT-Unterlagen ging es wieder zum Rheumatologen. Leider konnte dieser auch nicht genügend sehen. Er hat es sehr bedauert, dass seine Verordnung „MRT mit Kontrastmittel“ in der Radiologie nicht umgesetzt, sondern nur ein einfaches MRT gemacht wurde. Also schickte er uns wieder los, mit der Bitte, die Untersuchung woanders noch einmal durchzuführen lassen, aber unbedingt mit Kontrastmittel.

Ich habe mir geschworen, dass ich das alles noch genau einmal mitmache und habe dies auch meinen Eltern ziemlich deutlich gemacht. Deshalb bat meine Mutter gleich im Anschluss an das MRT um ein Gespräch bei der Kinderradiologin.  „Der Kelch wird leider nicht an dir vorbeigehen, Tobias“ waren ihre Worte. „Das sieht klar nach Rheuma aus – Füße, Knie, Hüfte, Kiefergelenke und auch in der Wirbelsäule“, meinte sie. Ich weiß nicht mehr genau, wie ich mich danach gefühlt habe, aber auf jeden Fall gab es ein neues Wort für meine Symptome.

Es war komisch, aber irgendwie war ich froh, als wir den nächsten Termin bei meinem Kinderrheumatologen hatten. Er bestätigte das Rheuma und erklärte mir, wie es nun für mich weitergehen würde. Auch wenn ich noch nicht genau umsetzen konnte, was das alles nach sich ziehen sollte, hatte ich aber endlich das Gefühl gut aufgehoben zu sein und dass mir endlich richtig geholfen wird.

Die Diagnose hat mich und auch unsere Familie oft an die Grenzen gebracht. Nicht nur die vielen Fehlstunden in der Schule mussten aufgeholt werden. Ich war ständig irgendwo: Augenarzt, Kinderarzt, Kieferorthopäde, Zahnarzt, regelmäßige Blutabnahmen, Ergo- und Physiotherapie, Rheumatologe und ganz nebenbei galt es noch das Schulleben zu meistern und Fehlzeiten aufzuholen. Das war teilweise so stressig, dass es mich zusätzlich viel Kraft gekostet hat. Ich war oft nach der Schule erschöpft und musste mich hinlegen. Aber trotzdem habe ich irgendwie alles mitgemacht, denn mein Rheumatologe gab mir immer wieder zu verstehen, dass er sehr gewillt sei, mein Rheuma in den Griff zu bekommen.

Schule, Remission, Ausbildung, Job

Die Grundschule war nicht leicht für mich. „Unsportlichkeit“, „Unwilligkeit“, „lügt“ sind Worte, die man mit 8, 9 oder 10 Jahren nicht hören will, schon gar nicht, wenn man so unter Schmerzen leidet und nicht ernst genommen wird.

In der weiterführenden Schule wollte ich erst nicht über mein Rheuma reden. Funktionierte aber irgendwann durch die vielen Fehlzeiten nicht mehr. Also sprach ich mit meinen Klassenkameraden und meine Eltern mit den Lehrkräften und der Schulleitung. Ich bekam einen Nachteilsausgleich und einen „Hausaufgabenpaten“. Meine Klasse hat immer zu mir gehalten und die meisten Lehrkräfte auch. Als ich 14 Jahre alt war, hat mich mein Kinderrheumatologe noch einmal überzeugt das Medikament zu wechseln. Ich wollte dies eigentlich nicht, weil es mir mit dem, welches ich bekam „gut“ ging. Doch „gut“ war ihm nicht gut genug. Er verfolgte unbeirrt sein Ziel, mich doch noch umzustimmen, was ihm auch gelang. Mit 161/2 Jahren war ich in der Remission.

Mein Berufswunsch sollte irgendwie mit planen, organisieren, verkaufen und irgendwann mit „etwas Eigenes auf die Beine stellen“ zu tun haben. Daher absolvierte ich nach meinem Fachabitur eine kaufmännische Ausbildung mit dem Plan darauf aufzubauen. Heute bin ich in den letzten Zügen, um 2024 in die Selbständigkeit zu gehen.

Danke

Dass ich ungehindert meinen beruflichen Wünschen und die sich mir heute daraus ergebenden Chancen so verwirklichen kann, verdanke ich unter anderem der langen Unterstützung meiner Familie und der Hartnäckigkeit meines Kinderrheumatologen.